Phänomen Faszien
In den letzten Jahren sind Faszien in aller Munde. In vielen Zeitungsartikeln, Fernsehberichten und Social Media wird darüber gesprochen und Tipps gegeben, wie man seine Faszien wieder beweglicher bekommt.
Aber was sind überhaupt Faszien? Warum wird gerade in letzter Zeit darüber so viel berichtet? Kann man die Faszien überhaupt beeinflussen?
Über dieses Thema möchte ich in diesem Artikel schreiben.
Was sind Faszien?
Der Begriff Faszie ist in der Forschung nicht klar definiert. In manchen Definitionen werden Faszien nur als das weiße Gewebe definiert, welches unsere Muskeln verbindet. Das, was oft als Sehnenplatten beschrieben wird.
Andere Definitionen beschreiben die Faszien als ein Gewebe, welches unseren kompletten Körper umhüllt und durchdringt.
Ich werde häufig gefragt, was der Unterschied zwischen Faszien und Bindegewebe ist?
Allgemein kann man sagen, dass Faszien und Bindegewebe eigentlich das Gleiche sind.
Laut Robert Schleip wird der Begriff Faszie und Bindegewebe wie folgt unterteilt:
Faszien durchziehen in verschiedenen Erscheinungsformen unseren Körper und verbindet insbesondere unseren Bewegungsapparat.
Bindegewebe ist eine Untereinheit von unseren Faszien und umhüllen unsere Organe (viszerale Faszien) und liegt unter unserer Haut (oberflächliche Faszie).
Als Struktur sind die Faszien (lat. fascia, was Band oder Bündel bedeutet) in der Medizin schon lange bekannt. Es wurde lange angenommen, dass Faszien eine rein passiv, verbindende Funktion in unserem Körper haben. In den meisten Sektionskursen wurde dieses Bindegewebe entfernt, um die "echte" Struktur (Muskel, Organ) besser zu erkennen. Den Faszien wurde in der Wissenschaft wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht.
Unter anderen dem Forscher Dr. Robert Schleip ist es zu verdanken, dass wir die Rolle der Faszien in unserem Körper neu überdenken.
Eine Entdeckung der Faszienforschung war, dass sich Faszien zusammenziehen können, ähnlich einem Muskel.
https://www.fasciaresearch.de/publications/Schleip2005FascialContractility.pdf
Eine andere Entdeckung war, dass Faszien eine Vielfalt und Vielzahl an sensorischen Nerven enthalten und damit ein wichtiges Sinnesorgan unseres Körpers darstellt.
Es wird geschätzt, dass alle Faszien ca. 250 Millionen sensorische Nerven enthalten. Im Vergleich zu unseren Augen, die ca. 130 Millionen Nerven oder unserer Haut, die ca. 200 Millionen Nerven erhalten.
Diese Tatsache macht unser Fasziensystem zum größten Sinnesorgan unseres Körpers.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1615907123000096
Es gibt Überlegungen, dass eventuell unspezifische Rückenschmerzen ihren Ursprung im Fasziengewebe haben kann. Insbesondere die Fascia thorakolumbalis, eine starke Faszie in unserer Lendenwirbelsäule, ist Gegenstand der Forschung.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28584816/
Interessant ist es auch zu erwähnen, dass unser Bindegewebe embryologisch derselben Struktur (Mesoderm) entspringt, wie unsere Muskeln oder auch unsere Knochen.
Dies ist ein Grund, warum einige Faszientherapeuten behaupten, alles sei Faszie, nur in unterschiedlicher Dichte.
Aber vor allem verdeutlicht es für mich als Osteopath, dass eine Spannung bzw. Einschränkung der Beweglichkeit im Sprunggelenk sich über das Spannungsnetzwerk Faszien, unter Umständen, bis zum Nacken fortsetzten kann.
Alle Faszien ergeben ein durchgehendes Geflecht von Gewebe, das untereinander in Verbindung steht und nie getrennt betrachtet werden sollte.
Anatomie von Faszien:
Faszien sind Gewebe, welches hauptsächlich aus Kollagenfasern besteht, je nach Lokalisation bzw. Funktion sind auch Elastinfasern enthalten. Das Gewebe besteht aus unterschiedlichen Faszienschichten, Fasern, Zellen, Proteinen.
Die Zellen der Faszien enthalten auch Zellen des Immunsystems.
Unsere Faszien werden grob in oberflächliche Faszien und tiefe Faszien unterteilt.
Die Oberflächliche Faszie umhüllt unseren Körper und hilft wohl bei der koordinativen Körperwahrnehmung.
Das tiefe Fasziengewebe ist wesentlich fester und umschließt unseren Körper wie einen Taucheranzug, diese umschließt unsere Hand und Fußgelenke wie eine Bandage.
Die tiefe Faszie geht oft über Sehnen in Muskeln über und trägt so dazu bei, dass unsere Muskeln Bewegungen ausführen können.
Es wird angenommen, dass die Faszie eine mindest so große Rolle beim Tragen unseres Körpergewichtes hat, wie unsere Knochen.
Die Funktionen von Faszien
Faszien erfüllen in unserem Körper vielfältige Funktionen. Wie oben schon angesprochen, finden wir Bindegewebe in all unseren Körperabschnitten.
"Das Bindegewebe verbindet nicht nur die unterschiedlichen Teile des Körpers, sondern im weiteren Sinne auch die zahlreichen Fachrichtungen der Medizin" (Snyder)
Stützfunktion
Die Faszien umhüllen unsere Muskeln, Organe, Gelenke und geben den Strukturen Halt bzw. ihre Form.
Trägerfunktion
Unser Fasziensystem trägt unser Nerven, Gefäß und Lymphsystem. Das embryonale Wachstum aller eben genannten Systeme läuft stets parallel ab.
Schutzfunktion
Dadurch, dass alle Strukturen von Faszien umgeben sind, haben diese eine wichtige Schutzfunktion. Diese Schutzfunktion verstärkt sich, je nach Belastungsgrad. So ist unsere Faszie in der Lendenwirbelsäule (Fascia thoracolumbalis) oder auch ein großes Band an der Außenseite unseres Oberschenkels(Tractus iliotibialis) besonders dick und widerstandsfähig. Tiefe Faszien bilden Schutzpuffer um Arterien und Nerven. Viszerale Faszien schützen unsere Organe. Zudem werden durch diese Hüllen Krankheitserreger behindert, in die Strukturen einzudringen.
Stoßdämpferfunktion
Durch die Elastizität der Faszien können Stöße abgefangen werden, damit werden unsere Strukturen geschützt. Aber die Stoßdämpferfunktion kann auch die Energie eines Aufpralls speichern und wieder in Bewegungsenergie umwandeln, wie etwa in unserer Achillessehne beim Laufen. Unsere Achillessehne enthält viele elastische Fasern. In dieser Hinsicht ähnelt die Achillessehne eher einer Gazelle oder einem Känguru und weniger einem Menschenaffen, die weniger elastische Fasern besitzen.
Unterstützende Rolle unseres Blut- und Lymphkreislaufes
Wie zu Beginn des Artikels angesprochen, kann sich unser Fasziengewebe zusammenziehen. Dies tun unsere Faszien in einem bestimmten Rhythmus. Dies ergänzt unsere zentrale Herzpumpe beim Rückfluss unseres venösen und lymphatischen Systems.
Quelle der Funktionen von Faszien : Faszien von Serge Paoletti
Beschwerden der Faszien
Aufgrund von Fehlbelastungen, aber auch wegen fehlender Belastung (was wahrscheinlich der häufigste Grund ist) können sich Bindegewebsstrukturen verändern.
Unsere Faszien habe eine bestimmte Ausrichtung in den Bindegewebsstrukturen, die sich an unsere Art der Belastung anpasst.
Wird aber unser Bindegewebe falsch oder kaum belastet, kann es zu verklebten Faszien kommen. Dies schränkt die Beweglichkeit in unseren Muskeln ein, kann aber auch eine Ursache für Schmerzen(z.B. im Rücken oder in der Schulter) sein.
Unser heutiger Lebensstil begünstigt Entzündungen
Eine andere häufige Ursache für diese Probleme sind Entzündungen. Die zum einen durch Traumata entstehen können. Hier sind die Chancen auf Heilung gut, wenn früh nach der Verletzung eine individuell angepasste Belastung erfolgt und sich die Bindegewebsschichten wieder gut ausrichten können.
Entzündungen können aber auch schleichend und teilweise unbemerkt entstehen ("silent inflammation") z. B. durch falsche Ernährung, Autoimmunerkrankungen oder eben durch zu wenig Bewegung und Streß.
Durch den schleichenden Vorgang, kann es sein, dass Schmerzen erst dann zu spüren sind, wenn die Faszien schon stark verändert sind (Fibrose). Diese Form von Beschwerden durch verklebte Faszien sind deutlich schwieriger und vor allem langwieriger in der Behandlung.
Aber jedes Gewebe unseres Körpers ist bis ins hohe Alter plastisch und die meisten Beschwerden können zumindest verbessert werden.
Therapien für die Faszien
In den letzten Jahren sind mit dem Thema Faszien auch immer mehr Konzepte auf den Gesundheitsmarkt gekommen, die sich auf die Therapie bzw. Verbesserung der Beweglichkeit der Faszien spezialisiert haben. Faszienfitness, Faszienyoga, Faszienrollen, Faszientraining. Ich könnte diese Liste fast unbegrenzt weiterführen.
Aber im Grunde genommen "trainiert" jede Form von Bewegung Ihr Fasziengewebe. Auch jede Form von körperlicher Therapie(klassische Massagen, Manuelle Therapie, Osteopathie, Feldenkrais usw.) hat einen Einfluss auf unser Bindegewebe.
Es benötigt dafür nicht unbedingt spezielle Übungen. Alles, was Ihrer Gesundheit zuträglich ist, hilft Ihren Bindegewebszellen geschmeidig zu werden.
Aber natürlich gibt es Überlegungen, wie man mit Faszientraining bzw. bestimmten Therapieformen gezielt die Faszien beeinflusst.
Haben wir überhaupt Einfluss auf das Fasziengewebe?
Wahrscheinlich haben wir einen Einfluss auf die oberflächliche Faszien. Diese Faszienschicht liegt direkt unter der Haut und das Fasziengewebe ist von Natur aus recht dehnbar.
Inwiefern eine Verklebung zwischen Organen (z.B. Endometriose, Vernarbungen nach OPs) gelöst werden können, ist umstritten.
Diese Faszienschicht liegt tiefer und ist nicht besonders dehnbar.
Fragen Sie mal einen operierenden Arzt oder Ärztin. Verklebungen im Bauch oder der Organe können nur operativ gelöst werden.
Leider bildet unser Körper dann schnell neue verklebte Faszien und die Schmerzen werden häufig nicht besser.
Der menschliche Körper ist keine Maschine
Aber was ich häufig in meiner Osteopathie Praxis in Hamburg beobachtet habe, dass sich bei manchen Patienten die Beweglichkeit von betroffenen Gelenken oder Organen gar nicht verbessert hat, aber die Schmerzen, mit denen die Betroffenen kamen, verschwunden waren.
Dies erkläre ich persönlich mit weiter oben genannten sensorischen Neurone, diese scheinen bei vielen Patienten in einer Art Alarmzustand zu sein.
Häufig ohne erkennbaren Grund.
Durch sanfte, schmerzfreie Mobilisation von dem Fasziengewebe, kann dieser Alarmzustand beendet werden. Diese Herangehensweise wende ich häufig bei Fibromyalgie, Endometriosepatientinnen oder andere funktionellen Probleme der Organe an.
Aber insbesondere nach Verletzungen oder Fehlbelastungen nach intensiven Sport, wende ich auch tiefergehende Techniken an. Wie etwa das Faszien Distorsions Modell (FDM), bei dem bestimmte Faszienzüge mit starkem Druck der Finger behandelt werden, dies macht verklebte Faszien wieder anpassungsfähiger.
Faszientraining oder wie bewege ich mich richtig
Unsere Faszien lassen sich wie unsere Muskeln trainieren. Durch Training werden in den Faszien mehr Kollagenfasern gebildet, die zum Beispiel unsere Sehnen elastischer werden lassen.
Ziel eines Trainings, wir können es auch Faszientraining nennen, ist es, die trainierten Muskelgruppen und die verbundenen Faszien nicht über- aber auch nicht unter-belasten. In beiden Fällen kann es passieren, dass die Bindegewebszellen verfilzen und dies verursacht Probleme.
Auch benötigen Faszien eine deutlich längere Zeit als Muskeln, sich an Belastungen anzupassen. Deshalb muss dem Fasziengewebe immer genug Zeit zur Regeneration gegeben werden.
Ein zusätzlicher Effekt von Sport ist, dass unsere Muskeln über die Faszien an unsere Knochen befestigt sind, die dann auch an Dichte zunehmen. Dies ist besonders im Alter für die Gesundheit wichtig.
Wie kann ich im Training die Faszien besonders ansprechen?
Wie gesagt, jede Bewegung wirkt auf unsere Faszien, aber es scheint, dass besonders die exzentrische Muskelarbeit einen positiven Trainingseffekt auf verklebte Faszien hat.
Exzentrische Muskelarbeit ist die Phase bei Übungen, in der wir das Gewicht oder den eigenen Körper langsam herunterlassen.
Eine große Rolle spielt es auch, wie Muskelgruppen trainiert werden. Es ist wichtig, Übungen zu wählen, die möglichst funktionell und den ganzen Körper einbeziehen.
1 dimensionale Übungen, wie etwa der Kniestrecker, bewegt nur ein Gelenk. Was weder physiologisch ist, noch unseren Bewegungen im Alltag angepasst ist.
Unsere Faszien scheinen über bestimmte Ketten in unserem Körper verbunden zu sein. Daher macht es Sinn Übungen zu wählen, die diese Ketten belasten.
Außerdem kann es Sinn machen, den Faszien neue Reize zu geben, indem wir zum Beispiel die Winkel der Bewegungen häufig variieren. Unsere Körper sind keine Roboter, sondern brauchen ständig Abwechslung.
Oben genannte Punkte zeigen mir persönlich, dass klassisches Krafttraining an Geräte, die Bewegungen vorgeben, auf lange Sicht wenig Sinn ergeben.
Ein Gerätetraining kann zu Beginn den Vorteil haben, ein Gefühl für den Körper zu entwickeln.
Mittel- bzw- langfristig helfen, aber freie Übungen mit Gewichten, Kabelzügen, Bänder besser, Schmerzen und andere Probleme in den Griff zu bekommen.
Aber dies sollte immer individuell entschieden werden, ein isoliertes Training eines Muskels kann auch Vorteile haben.
Wippende Bewegungen sind hilfreich, das Fasziengewebe geschmeidig zu machen
Laut dem Forscher Schleip sollen auch wippende Bewegungen in ein Faszientraining integriert werden.
Meiner Meinung sollte hier nur beachtet werden, welches Gelenk auch federnd in unserem Alltag belastet wird.
So denke ich, dass zum Beispiel Seilhüpfen bzw. Hüpfen als solches, einen großen Nutzen für unsere Faszien hat, da ja unsere Achillessehne, aber auch andere Bänder und Sehnen in unseren Beinen, für diese Art von Kraftübertragung geschaffen sind.
Im unteren Rücken sollte aber eine Übung möglichst kontrolliert und stabil ablaufen. Ich würde niemanden empfehlen, Kreuzheben mit einer wippenden Bewegung auszuführen.
Osteopathie bei Rückenschmerzen
Aber bei der Auswahl und Ausführung von Übungen sollte immer individuell eingegangen werden, abhängig von Kraft und Beweglichkeit.
Abschluss
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesem Artikel einen kleinen Einblick in die Welt der Faszien bieten.
Die Forschung in diesem Bereich geht aktuell rasant voran und ich möchte Sie auch in Zukunft hier über Entwicklungen zu diesem faszinierenden Thema informieren.
Falls Sie Fragen zu Faszien oder Faszientraining haben:
Meine E Mail Adresse: info@osteopathie-boetius.de